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Warum verzichtete Patek Philippe 35 Jahre lang auf die World Timer?

In den 1930er Jahren, als der internationale Reiseverkehr zunahm und globale Kommunikation sich rasant entwickelte, erkannte Patek Philippe eine einmalige Gelegenheit, seinem Sortiment eine neue Uhr hinzuzufügen – eine Weltzeituhr.

Sie war das ultimative Accessoire für wohlhabende Weltenbummler: Innovativ und völlig ihrer Zeit entsprechend – ein Gadget wie von James Bond, das der Uhrmacherkunst eine ihrer nützlichsten und beliebtesten Komplikationen verlieh.

Damals war die Idee eigener Zeitzonen für verschiedene Teile der Welt noch ein relativ neues Konzept, das erstmals in den 1850er Jahren vom italienischen Mathematiker Quirico Filopanti vorgeschlagen wurde.

Filopanti starb mittellos, seine Bemühungen scheinbar vergeblich, bis der schottische Eisenbahningenieur Sandford Fleming im Jahr 1879 für neuen Schwung sorgte, nachdem er in Irland wegen örtlicher Zeitabweichungen einen Zug verpasst hatte.

Darüber verärgert, in einer kalten irischen Nacht auf einem leeren Bahnsteig warten zu müssen – und wer könnte es ihm verdenken, da er nicht einmal in einem Starbucks Zuflucht suchen konnte – hatte Fleming ausreichend Zeit, über Filopantis Idee nachzudenken.

Er sah deren Potential, die weltweite Navigation zu unterstützen und leidige lokale Zugfahrpläne zu vereinheitlichen und nahm sich der Sache mit Begeisterung an.

Flemings Bemühungen führten schließlich zur Internationalen Meridiankonferenz von 1884. An diesem Treffen in Washington, D.C. nahmen die Weltmächte teil, um ein System von 24 Zeitzonen mit jeweils 15 Grad, ausgehend vom Nullmeridian in Greenwich, London, einzuführen.

Alles schien also bereit dafür, dass die besten Uhrmacher der Welt sich an die Arbeit an einem Uhrwerk machten, das diesem neuen System gerecht wurde.

Oder zumindest könnte man das meinen …

Durch Schweizer Vorsicht verlangsamt

Schweizer Uhrmacher sind – trotz all ihrer Innovationen – vorsichtig und wollten sehen, ob das neue System auch Fuß fasst, bevor sie sich mit einer neuen Uhrwerkstechnologie befassen, deren Entwicklung und Perfektion Jahre dauern würde.

Man bedenke, dass weder Passagierflugzeuge, noch transkontinentale Telefongespräche und all die Dinge, die der Globalisierung den Weg ebneten, erfunden waren. Not macht erfinderisch, wie das Sprichwort sagt, aber in diesem Fall wartete man noch auf den entscheidenden Moment.

Es dauerte also noch mehrere Jahrzehnte, bis ein unternehmungslustiger Genfer Uhrmacher namens Louis Cottier ein Uhrwerk entwickelte, das die technische Fähigkeit besaß, mehrere Zeitzonen abzudecken.

Er setzte die Arbeit seines Vaters fort, der ebenfalls Uhrmacher war und erfolglos Ähnliches versucht hatte. Cottiers Uhr verfügte über ein zentrales Standardziffernblatt, das die Ortszeit mit Stunden- und Minutenzeiger anzeigte.

Der Stundenzeiger und ein rotierender innenliegender Ring wurden dann miteinander verbunden, so dass der innenliegende Ring sich innerhalb von 24 Stunden gegen den Uhrzeigersinn drehte, während der Stundenzeiger eine 12 Stunden lange Umdrehung machte.

Auf dem verstellbaren äußeren Ziffernring befanden sich bekannte Weltstädte, die den 24 Zeitzonen der Welt entsprachen. Um ihn zu verstellen, wurde die lokale Stadt auf 12 Uhr gedreht und anschließend auf den mittleren Zeigern die Lokalzeit eingestellt.

Sobald die Ortszeit auf die 12-Uhr-Position auf dem Ziffernblatt ausgerichtet wurde, zeigten die Uhr und der dazugehörige außenliegende Ring gleichzeitig die richtige Uhrzeit an.

Die Großen nehmen Kenntnis

Cottiers erste erfolgreiche Weltzeituhr, eine Stoppuhr, wurde 1931 an den renommierten Juwelier Baszanger – das Jacob & Co dieser Zeit – verkauft. Aber sein Einfallsreichtum bliebt nicht unbemerkt und die führenden Marken wie Patek Philippe, Vacheron Constantin und Rolex buhlten schon bald um seine Dienste.

Sechs Jahre später hatte er für Patek Philippe sein Weltzeituhrwerk zu einer Armbanduhr komprimiert – eine Weltneuheit.

Die Uhr, Referenz 515 HU, hatte ein rechteckiges Gehäuse und es wurden nur vier Prototypen hergestellt. Es folgten Referenz 542 HU und Referenz 96 HU, die in einem Calatrava-Gehäuse untergebracht sind und den Weltzeituhren von Patek Philippe, wie wir sie heute kennen, mehr ähneln.

Diese Modelle sind sehr rar und selten außerhalb der renommiertesten Auktionshäuser oder Pateks eigenem Museum zu sehen.

Die schönsten Pateks aller Zeiten?

Erst die Einführung der Referenz 1415 im Jahr 1939 machte Patek wahrhaftig zum König der Weltzeituhren. Diese Referenz gilt als eine der schönsten Pateks aller Zeiten. Sie wurde in Gelbgold produziert und es gibt einige Exemplare in Rotgold und mindestens ein Platinmodell. Tropfenförmige Bandanstöße und verzierte Zeiger mit Lilien- oder Kreismotiv ergänzen den unverwechselbaren Look.

Die berühmtesten und gefragtesten Varianten sind die Modelle mit Cloisonné-Zifferblatt (Golddraht-Emaille) mit Welt- oder Eurasien-Karten. Außerdem gab es die besonders beeindruckende Referenz 1415/1 HU – ein Unikat, das Weltzeituhr-Funktion und Chronograph vereint.

Die 1415 wurde bis in die frühen 50er Jahre produziert, als eine weitere innovative Ergänzung des Weltzeituhr-Kanons auf den Markt kam – die Referenz 2523 mit Zwei-Kronen-Einstellung und Aufzugsystem. Durch die Neupositionierung der Weltzeit-Stadtangaben auf einen außenliegenden Ring des Zifferblatts, konnte die Ortszeitangabe über die zweite Krone bei 9 Uhr geändert werden.

Sie wurde bis 1965 produziert und es wird angenommen, dass nicht mehr als 25 Stück hergestellt wurden. Aber machen wir uns nichts vor: Pateks wie diese waren damals noch unendlich unerreichbarer als auf dem heutigen Markt, denn der Kundenkreis war auf Ölmagnaten, Medienmogule und Königshäuser beschränkt.

35 Jahre im Winterschlaf

Obwohl Cottier freiberuflich auch für konkurrierende Marken tätig war, scheint er den Rest seiner Karriere eng mit Patek Philippe zusammengearbeitet zu haben und war äußerst produktiv. Er arbeitete nicht nur an Kalibern, sondern auch in Bereichen des Uhrendesigns.

Angeblich wurden ihm von Patek unmontierte Uhren zugeschickt, deren Basiskaliber er das Weltzeituhr-Modul hinzufügte. Er soll auch einige der eigenwilligen Zeiger für die Modelle der World Time Serie selbst zugeschnitten haben.

Cottier starb im Jahr 1966 und sein Tod scheint die Tür zu Patek Philippe Weltzeituhren vorübergehend geschlossen zu haben. Erschreckenderweise wurde von der Marke zwischen 1965 und 2000 keine einzige hergestellt!

Ohne Cottier hatte man vielleicht das Gefühl, dass niemand sonst qualifiziert war, Weltzeituhren nach seinem hohen Standard zu machen – es ist allerdings auch wahrscheinlich, dass Pateks Aufmerksamkeit darauf gerichtet war, die turbulenten Gewässer der Quarzkrise zu navigieren.

Im Jahr 2000 waren mechanische Uhren jedoch wieder in Mode und die Zukunft sah wesentlich vielversprechender aus.

Rückkehr der Weltzeituhr

Die Patek Philippe World Time Serie feierte im Jahr 2000 auf der Baselworld mit der Referenz 5110, angetrieben vom Automatikkaliber 240 mit Mikro-Rotor, eine triumphale Rückkehr. Dieses neue Uhrwerk verfügte bei 10 Uhr über einen Drücker, der eine innere Scheibe mit den wichtigsten Städten der Welt in die richtige Zeitzone bewegte.

Die Zeit stellte sich dann sofort von selbst ein. Es handelte sich um die erste in Serie produzierte World Time-Referenz und möglicherweise die am einfachsten bedienbare Uhr ihrer Art.

Seitdem hat Patek eine Vielzahl von Weltzeituhren veröffentlicht und bei einigen Referenzen sogar das exquisite Cloisonné-'Karten'-Zifferblatt zurückgebracht. Weitere Neuheiten sind eine Word Time mit Mondphase – Referenzen 5575 und 7175 – und die erste in Serie produzierte World Time mit Chronograph, die Referenz 5930.

Aufgrund der lästigen Reisebeschränkungen durch die Pandemie, haben diejenigen, die das Glück haben, eine dieser Schönheiten zu besitzen, sie in den letzten Jahren möglicherweise dem Uhrenbeweger oder Safe anvertraut.

Während die Reisebranche sich wieder einem Anschein von Normalität nähert, können sie es zweifellos kaum erwarten, sie einer bewundernden Welt zur Schau zu stellen.

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